Manche Unionspolitiker könnten auf die Idee kommen, das Urteil zum Betreuungsgeld als ideologisch motiviert zu geißeln. Aber ehe sie das tun, sollten sie sich erst bewusst machen, wer da geurteilt hat.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die "Herdprämie" einstimmig kassiert – obwohl er aus Menschen mit völlig unterschiedlichen Familienmodellen und Charakteren besteht. Die kinderlose, in einer lesbischen Partnerschaft lebende Richterin Susanne Baer hat ebenso gegen das Gesetz votiert wie der aus Bayern stammende und von der Union nominierte Richterkollege Michael Eichberger, ein verheirateter Vater von vier Kindern.
Von Ideologie oder Familienfeindlichkeit also keine Spur, im Gegenteil: Der Karlsruher Richterspruch ist eine Chance, wieder Familienpolitik mit Vernunft zu betreiben. Der Bund kann sich nicht aus einem "gesellschaftspolitischen Wunsch" heraus Kompetenzen anmaßen, die er nicht hat, stellt Karlsruhe klar. Wenn wir das durchgehen ließen, sagen die Richter, wäre das für den Staat die "vollständige Freistellung von verfassungsrechtlicher Kontrolle". Es ist beunruhigend, dass man dies der Politik noch extra sagen muss.
Die Richter halten sich in ihrem Urteil gar nicht erst mit den politisch aufgeladenen Grundrechten über Familie und Gleichbehandlung auf. Sie stützen sich vor allem auf formale Zuständigkeitsargumente. Aber auf dieser Basis zerfleddern sie das Gesetz der schwarz-gelben Regierung so gründlich, dass in Berlin viele Ohren klingeln müssten, auch die von Ex-Familienministerin Kristina Schröder, die das Gesetz formal verantwortet hat. Ihre Arbeit sei schlampig gewesen, lässt Karlsruhe durchblicken, die Gesetzesbegründung liefere keine "tragfähige Grundlage" für eine Zuständigkeit des Bundes für das Betreuungsgeld.
Insofern wirft das Urteil ein Schlaglicht auf eine gefährliche Fehlentwicklung der Politik: Es geht selten gut, wenn Politiker nur aus Koalitionstreue und politischem Kalkül heraus ein Gesetz verantworten, das sie selbst insgeheim ablehnen. Kristina Schröder war keine große Freundin des Betreuungsgeldes, trotzdem lieferte sie. Das gequälte Ja der SPD zur Pkw-Maut hat nur dazu geführt, dass möglicherweise demnächst der Europäische Gerichtshof das rechtlich fragwürdige Instrument kassiert. Und das Ja von Justizminister Heiko Maas zur Vorratsdatenspeicherung dürfte auch ein Fall für Karlsruhe werden.
Für die Zukunft stellen die Richter mit ihren verfassungsrechtlichen Argumenten aber auch noch eine wichtige politische Weiche. Sie stellen klar, dass es in der Familienpolitik keinen Anspruch auf staatliche Leistungen gibt, auch nicht, wenn man Kitas als "vermeintliche Benachteiligung" nicht berufstätiger Eltern sieht. Wer nicht ins öffentliche Schwimmbad gehen will, der kann vom Gesetzgeber kein Geld für einen privaten Pool verlangen, argumentieren die Richter – natürlich sagen sie das nur sinngemäß. Wörtlich sagen sie, es gebe keine "verfassungsrechtliche Kompensationspflicht" für alle, die auf Staatskitas freiwillig verzichten.
Dieser Punkt erinnert übrigens an die größte Absurdität des Betreuungsgeldes: Es stand sehr wohl auch Eltern offen, die ihre Kleinkinder "fremdbetreuen" lassen. Entscheidend ist, dass die Kleinen in keiner staatlich subventionierten Kita sitzen. Private Einrichtungen dagegen, ob teuer und edel oder von Eltern privat organisiert, ließen sich sehr wohl über das Betreuungsgeld subventionieren. Immerhin: Solche Widersprüche muss die CSU jetzt niemandem mehr erklären.
Quelle: Spiegel-Online
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/betreuungsgeld-urteil-aus-karlsruhe-kommentar-a-1044643.html